Debatte Werkstattentgelte: Forschung

"Arbeit ökonomisch anerkennen"

Forschende Pfahl, Traue und Czedik © Privat

Die Forderung nach der Einführung eines Mindestlohns für Werkstattbeschäftigte macht auf einen Missstand aufmerksam. Warum sie nur ein erster Schritt sein kann, erläutern Forschende von der Universität Innsbruck.

Die Bezahlung von Werkstattbeschäftigten bleibt weit hinter der Wertschöpfung der von ihnen geleisteten Arbeit zurück. Die Forderung nach einem Mindestlohn konfrontiert diesen Missstand, aber verspricht sie eine angemessene Antwort? Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt finden systematische Ungleichheiten in der Bewertung von Arbeit statt. Arbeit realisiert sich auch in der Sozialgesetzgebung in ableistischen Zuschreibungen, zum Beispiel wenn als behindert klassifizierten Personen in den Reha-Beratungen der Bundesagentur für Arbeit aberkannt wird, leistungsfähig oder produktiv sein zu können. Im holprigen Umkehrschluss bemisst sich auch der ‚Schweregrad‘ einer Behinderung an der Einsetzbarkeit im kapitalistisch organisierten Arbeitsprozess.

Diskriminierung wird legitimiert

Die Einführung eines Mindestlohns würde deutlich machen, dass in Werkstätten Erwerbsarbeit geleistet wird. Zugleich birgt sie die Gefahr, soziale Diskriminierungen wohlfahrtsstaatlich zu legitimieren und die ökonomische Prekarisierung von Menschen mit Behinderungen fortzusetzen, weil der Mindestlohn ohne Transferleistungen die soziale Sicherung nicht gewährleistet.

Solidarische Ökonomie weiterentwickeln

Nichtsdestotrotz ist die Forderung nach einem Mindestlohn ein wichtiger erster Schritt in eine Diskussion, die den Wert von Arbeit aus der neoliberalen Verwertungslogik herauslösen kann, für Menschen mit und ohne Behinderung. Um ‚unsichtbare‘ und gering bewertete Arbeit auch ökonomisch anzuerkennen, sollten zukünftig solidarische Formen von Ökonomie weiterentwickelt werden. Die Italienischen Sozialgenossenschaften können dabei ein Vorbild für inklusive Beschäftigungsformen prekarisierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein.

Die Autor:innen

Lisa Pfahl ist Professorin für Disability Studies und Inklusive Bildung an der Universität Innsbruck und Sozialwissenschaftlerin. Sie forscht zu Logiken und Effekten von sozialen Klassifikations- und Hilfesystemen. lisa.pfahl(at)uibk.ac.at

Stephanie Czedik ist Erziehungswissenschaftlerin und forscht an der Universität Innsbruck zu Werkstätten für behinderte Menschen in Deutschland. stephanie.czedik(at)posteo.de

Prof. Dr. Boris Traue ist Sozialwissenschaftler und forscht zu den Logiken und Effekten von sozialen Klassifikations- und Hilfesystemen. boris.traue(at)uni.lu

Die gesammte Debatte zum Mindestlohn in Werkstätten für Menschen mit Behinderung lesen Sie in unserer aktuellen Ausgabe.