Ex-Caritas-Generalsekretär fordert Debatte über Prioritäten

Ex-Caritas-Generalsekretär Cremer © Philip Schunke, Contec GmbH

Humangeograph Breitinger © Philip Schunke, Contec GmbH
Der Ex-Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands Georg Cremer fordert Prioritäten in der Sozialpolitik. Überraschende Einsichten vermittelten auf dem Contec Zukunftsforum auch andere Vortragende.
Der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands Georg Cremer hat auf dem Contec Zukunftsforum Soziale Arbeit in Berlin die Zeitenwende als eine Chance für die Sozialwirtschaft beschrieben. Voraussetzung sei eine Debatte über Prioritätensetzung. Die dringlichste Aufgabe werde es außerdem sein, Kooperationsblockaden zu lösen, sagte der Professor für Volkswirtschaftslehre.
Da Mittel auch für Krisen wie den Krieg in der Ukraine und den Klimawandel benötigt würden, müsse die Sozialpolitik eine Prioritätendebatte führen. Wo das nicht geschehe, schade es den Belangen der Hilfebedürftigen. Als Beispiele nannte Cremer die Pflegevollversicherung, die Alterssicherung und das Gute-Kita-Gesetz. So seien Bundesmittel für Kitas von vielen Ländern genutzt worden, um pauschal Elternbeiträge abzuschaffen. Eine Regelung, die vor allem Eltern mit höherem Einkommen nutze. Statt die Kita umsonst für alle zu machen, hätte man Personal und Qualität der Kitas priorisieren sollen.
Konzepte sind wichtiger als Geld
Cremer warf den Sozialverbänden vor, sich in der öffentlichen Debatte zu sehr auf materielle Leistungen zu fokussieren und einseitig die Verantwortung dem Staat zuzuschieben, der zu wenig Geld gebe. Er forderte stattdessen dazu auf, eine Debatte über Konzepte zu führen, wie „der an sich gut ausgerüstete Sozialstaat in Deutschland“ Menschen besser helfen könne. Dazu sei Kooperation vor Ort besonders wichtig. Kommunen und Träger stünden gemeinsam in der Verantwortung. Dass es entscheidend darauf ankomme, habe sich während der Corona-Pandemie gezeigt. Unter gleichen gesetzlichen Bestimmungen und Rahmenbedingungen habe die Kooperation vor Ort sehr unterschiedlich gut funktioniert. Es würde sich lohnen, das auszuwerten.
Beim 5. Contec Zukunftsforum Soziale Arbeit diskutierten hochkarätige Vortragende und Impulsgeber mit Vertreterinnen und Vertretern der Branche. Themen waren Strategien der Sozialwirtschaft angesichts aktueller Megatrends und gesellschaftlicher Transformationen wie Digitalisierung, Klimawandel und demografische Veränderungen.
Veränderungen benötigen Kontinuitätsversprechen
Den Umgang der Gesellschaft mit Veränderungsdruck thematisierte Soziologieprofessor Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Auf die großen gesellschaftlichen Transformationen werde mit zu großen Gesten reagiert. Nassehi sprach von „der Naivität des ‚wir müssen‘“. Viele Akademiker glaubten, man könne Menschen die Notwendigkeit von Veränderungen erklären. So funktioniere das aber nicht.
Nassehi plädierte für evolutionäre Lösungen. Disruptive Veränderungen müssten scheitern. Menschen hielten Veränderung aus, benötigten aber ein Kontinuitätsversprechen.
Demografischer Wandel ist keine Lawine
Florian Breitinger vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung beschrieb in seinem Vortrag die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Soziale Arbeit. Er widersprach dem oft genutztem Bild einer Lawine in Zeitlupe. Der demografische Wandel sei nichts, vor dem man weglaufen müsse. Stattdessen könne man ihn gestalten. Die Menschen in Deutschland würden älter, diverser und tendenziell weniger werden. Auf diese Veränderungen könne die Soziale Arbeit reagieren.
Wer das Ziel habe, alten Menschen Teilhabe zu ermöglichen, müsse gegen vorherrschende Altersbilder anarbeiten, sagte Breitinger. Nach dem Ausscheiden aus dem Beruf seien Menschen heute länger aktiv und entsprächen nicht dem Klischee von den gebrechlichen Alten. Die Sozialarbeit müsse das anerkennen. Alter werde zum Querschnittsthema über die Altenhilfe hinaus. Auch in der Sucht-, Schulden- oder Familienberatung würden immer mehr ältere Menschen Hilfe suchen. Ebenso müsse Diversität in der Sozialen Arbeit Querschnittsthema werden.
Als Reaktion auf das Schrumpfen der Bevölkerung und dem Mangel an jungen Fachkräften lohne für die Soziale Arbeit der Blick auf andere Branchen. Breitinger nannte die besonders betroffene Pflege als Beispiel. Die Branche habe ihre Ausbildung reformiert, auf Digitalisierung gesetzt und zusätzliche Fachkräfte aus dem Ausland angeworben. Das Berufsfeld werde attraktiver für neue Fachkräfte gestaltet.
Das 5. Contec Zukunftsforum Soziale Arbeit fand am 4. und 5. September in Berlin statt. Die teilnehmenden Expertinnen und Experten, Praktikerinnen und Praktiker aus der Branche diskutierten im Hotel Dorint, wie gesellschaftliche Umbrüche die Zukunft der Branche prägen werden.
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