Personal- und Pflegesatzstrategie anpassen

Nicht-tarifgebundene Träger müssen sich spätestens jetzt Gedanken machen, wie sie Mitarbeitende künftig bezahlen wollen. Roman Tillmann erläutert, wie Sozialunternehmen die Tarifpflicht umsetzen.
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) stellt neben den Pflegestärkungsgesetzen in den Jahren 2015 bis 2017 die inhaltlich umfassendste Pflegereform der letzten Jahre dar. Dies liegt insbesondere an der Vorgabe der tariflichen Vergütung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Zulassungsvoraussetzung für die Versorgung der Pflegebedürftigen. Ende Januar 2022 wurden die Richtlinien des GKV-Spitzenverbands mit rund vier Monaten Verspätung herausgegeben, die präzisieren, inwiefern die Bezahlung der Pflegeeinrichtungen den Anforderungen einer tariflichen Vergütung genügen. Die Vergleichstarife, an denen sich bisher nicht tarifgebundene Träger orientieren können, wurden für alle Bundesländer am Anfang Februar veröffentlicht. Die Träger müssen nun das ab September 2022 für sie geltenden Vergütungsniveaus mitteilen.
Nach regionalem Tarif zahlen
Mit dem ersten Schritt der Umsetzung der Tarifpflicht wird sich jeder nicht-tarifgebundene Träger spätestens jetzt Gedanken machen müssen, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukünftig bezahlt werden sollen. Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten: der Träger kann einen eigenen Tarifvertrag abschließen oder sich einem anschließen. Alternativ kann er auf dem Niveau eines in der Region vorhandenen Tarifvertrags bezahlen.
Nun stellt sich die Frage, wie ein geeigneter Tarifvertrag gefunden werden kann. Ein Vergleich lohnt sich, nicht nur hinsichtlich der monatlichen Vergütung, sondern auch hinsichtlich der Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen sowie der Regelungen zur Sonderzahlung. Aufgrund der unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten sollte ein Vergleich auf Basis des Stundenlohns erfolgen – hier zeigen sich Unterschiede von mehr als zehn Prozent zwischen den anerkannten Tarifwerken.
Tarifvergleich durchführen
Eine sorgfältige Standortbestimmung für nicht tarifgebundene Einrichtungen ist spätestens jetzt von elementarer Bedeutung und hat maßgeblichen Einfluss auf die zukünftige Wirtschaftlichkeit. Hierzu sollte ein Tarifvergleich mit Personalkostensimulation durchgeführt werden. Bei dem Tarifvergleich werden alle relevanten aktuellen arbeitsvertraglichen Regelungen und Vergütungskomponenten mit den Tarifkomponenten eines möglichen Zieltarifs verglichen. Es bietet sich an, die einzelnen Komponenten der Vergleichstarife in einer Tabelle gegenüberzustellen. Hierbei muss darauf geachtet werden, dass insbesondere die einzelnen Vergütungs- und Arbeitszeitkomponenten gut dokumentiert und getrennt voneinander herausgearbeitet werden. Auf diesen basiert in den nächsten Schritten die Simulation der Überleitung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nachdem die einzelnen tariflichen Komponenten verglichen wurden, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzeln in die Vergleichstarifstruktur überführt werden. Auch Unterschiede in der Wochenarbeitszeit oder Urlaubstagen sollten bei der Überleitung hinsichtlich der Kostenauswirkung berechnet und in den Vergleich einbezogen werden. Bei der Wahl des Tarifvertrags ist nicht nur die stichtagsbezogene Überleitung zu bewerten, sondern auch die Lohnspreizung zwischen den einzelnen Erfahrungsstufen. Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Tarifwerken.
Individuell verhandeln
Nicht selten steigen die Personalkosten nach einer solchen Überleitung um über 15 Prozent. Diese Mehrkosten müssen unbedingt vorher in eine Pflegesatzverhandlung eingebracht werden, um sie für die Einrichtung angemessen refinanzieren zu können. Viele Träger werden erstmals wieder Individualverhandlungen auf Basis ihrer eigenen einzeln nachzuweisenden Kosten führen müssen, wenn die Angebote der Pflegekassen zur pauschalen prozentualen Steigerung nicht ausreichen, die Lohnsteigerung abzufangen. Eine gute Vorbereitung und ein funktionierendes Controlling zur Datenbereitstellung sind dabei unerlässlich.
Die Auswahl des geeigneten Tarifwerks zur zukünftigen Entlohnung ist somit eine wichtige strategische Weichenstellung, bei der die finanziellen Auswirkungen für die Einrichtung berechnet werden müssen, aber auch die Effekte auf die Attraktivität des Arbeitgebers aus Sicht der Arbeitnehmer:innen beachtet werden sollte.
Auch dem laufenden Controlling wird zukünftig eine größere Bedeutung zu kommen, so schwinden mit der Individualverhandlung etwaige Refinanzierungsspielräume und die seit einigen Jahren verankerte Regresspflicht bei Unterschreitung der verhandelten Löhne ist für die Kostenträger sehr viel leichter nachzuweisen.
Der Autor:
Roman Tillmann ist geschäftsführender Partner der Rosenbaum Nagy Unternehmensberatung