„Ehrlichkeit ist die wichtigste Voraussetzung für einen Neustart“

Fachanwalt für Insolvenzrecht Olaf Seidel © Marc Volk, Berlin
Eine Insolvenz in Eigenverwaltung kann Anstoß für notwendige Veränderungen sein. Für den Erfolg der Sanierung ist Vertrauen wichtig, sagt der Fachanwalt für Insolvenzrecht Olaf Seidel.
Eine Insolvenz ist für wahrscheinlich jedes Unternehmen das absolute Schreckensszenario. Bedeutet eine Insolvenz wirklich immer das Ende?
Niemand strebt eine Insolvenz an. Aber gerade der Verfahrenstyp Eigenverwaltung hat sich in den vergangenen Jahren als Mittel bewährt, bestimmte Probleme unter Insolvenzschutz in Eigenregie zu lösen. Der überwiegende Anteil der von unserer Kanzlei betreuten Insolvenzen führt zu einem Erhalt des Unternehmens. Angeschlagene Unternehmen müssen sich also darüber klar sein, dass eine Insolvenz eine wirkliche Chance für einen Neustart ist. Wichtig ist dabei, frühzeitig zu handeln und die Probleme nicht zu verschleppen. Wenn Menschen krank sind, gehen sie ja auch zum Arzt. Ernste Krankheiten müssen behandelt werden und je früher mit der Behandlung begonnen wird, desto besser sind die Heilungschancen. So ist es auch im Unternehmenskontext.
Woran erkennt ein Unternehmen, dass eine Insolvenz in Eigenverwaltung Sinn macht?
Wichtigste Voraussetzung ist, dass die Geschäftsführung die Probleme im Unternehmen erkennt. Wenn die Geschäftsführung vor den Schwierigkeiten die Augen verschließt, kann sie auch nicht handeln. Ausschlaggebend für den Erfolg des Verfahrens ist auch der Antragszeitpunkt. Je früher gehandelt wird, umso mehr kann ein Unternehmen durch die Eigenverwaltung später erreichen. Wichtig ist außerdem, dass das Unternehmen keine gesetzlichen Antragsfristen überschritten hat.
Welche Potenziale für Veränderungen stecken in einer Insolvenz in Eigenverwaltung?
Wenn ein Unternehmen sich entscheidet, den Weg der Eigenverwaltung zu gehen, behält es zunächst einmal das Ruder in der Hand. Gleichzeitig erhält die Geschäftsführung Unterstützung von Experten, die sanierungsspezifisches Know-how ins Unternehmen bringen und das Verfahren begleiten. Bei dem Prozess stehen dem Unternehmen dann alle Sanierungswerkzeuge eines Insolvenzverfahrens zur Verfügung. Beispielsweise bringt das Insolvenzgeld der Agentur für Arbeit erhebliche Liquiditätsverbesserungen, da das Unternehmen drei Monate keine Löhne und Gehälter zahlen muss. Auch kann man sich einfacher von nachteiligen Verträgen trennen. Bei alledem gibt es keinen Stillstand. Das Unternehmen macht bei voller Fahrt weiter.
Wie identifiziert ein Unternehmen in diesem Prozess die Dinge, die es ändern muss?
Die grundsätzlichen Probleme, die zum Insolvenzverfahren geführt haben, sollten der Geschäftsführung schon vor dem Beginn des Verfahrens bekannt sein. Sonst besteht die Gefahr, dass sie durch das ganze Verfahren getragen werden. Der beauftragte Restrukturierungsexperte hilft zudem, blinde Flecken aufzudecken. Darüber hinaus steht dem Unternehmen noch ein gerichtlich bestellter Sachwalter zur Seite, der die Geschäftsführung überwacht und die Gläubigerinteressen im Blick hat. Zur weiteren Analyse kann dann noch spezieller Sachverstand hinzugezogen werden. In einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung kann das zum Beispiel ein Experte für maschinelle Fertigung sein, der Optimierungspotenzial vor Ort erkennt.
Wie kann ein Unternehmen gestärkt aus einer Insolvenz Eigenverwaltung hervorgehen?
Eine Insolvenz ist immer auch eine Vertrauenskrise. Das zieht sich durch alle Ebenen. Alle Beteiligten, ob Kunden, Lieferanten, der Betriebsrat oder die Belegschaft sind verunsichert. Mit dem Mut, Fehler beim Namen zu nennen, schafft man es, diese wichtigen Partner mit auf den Weg zu nehmen. Ehrlichkeit ist daher die wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Sanierung. Die Verantwortlichen müssen alle Beteiligten zu einem gemeinsamen Handlungsplan mobilisieren. Wenn Vertrauen geschaffen wird, dann hat die positive Veränderung begonnen.
Der Interviewpartner:
Olaf Seidel ist Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der Kanzlei AndresPartner in Dresden.
oseidel(at)andrespartner.de