Die unterschätzte Ressource der Sozialwirtschaft

Datenmanagement wird auch in der Sozialwirtschaft immer wichtiger. Wie Träger Daten zu ihrem Vorteil nutzen, erklärt Fachberater Sven Buchholz von der rosenbaum nagy unternehmensberatung.
Begriffe wie Big Data, Data Management und Data Science sind im Jahr 2022 längst in aller Munde. Nicht erst seit Corona und der damit einhergehenden forcierten Digitalisierung vieler Unternehmen und Organisationen ist ein exponentieller Zuwachs generierter Daten zu verzeichnen. In den meisten Chefetagen ist man sich heutzutage sicher, dass diese enorme Menge an Daten für Unternehmensentscheidungen sinnvoll zu nutzen ist. Denn was ist die Motivation hinter dieser zunehmenden Datenfaszination? Es ist der Wunsch der Führungsebene nach Entscheidungssicherheit auf Grundlage eindeutiger Daten, nach dem Erkennen wichtiger Trends und dem Aufzeigen klarer Handlungsbedarfe auf einen Blick.
In der Sozialwirtschaft scheint diese Datenfaszination noch nicht wirklich angekommen. Und dies allein mit der Einschätzung zu begründen, dass der Fokus der Branche eher auf Menschen denn auf Daten liegt, scheint nicht komplett zu greifen. Was entfernt die Sozialwirtschaft also vermeintlich noch so weit von der Big Data-Welt?
Daten unterstützen Entscheidungsfindung
Datenanalyse und Datenprognosen sind nur dann sinnvoll und möglich, wenn die richtigen Daten vollumfänglich und zeitnah vorliegen. Doch gerade in der Sozialwirtschaft zeigt sich häufig noch eine andere Realität. Das beste KI-gestützte Analyse- und Vorhersagemodell nutzt vergleichsweise wenig, wenn in der Organisation Daten aus unterschiedlichen Software-Lösungen nicht sinnvoll zusammengeführt werden oder die Anfrage nach einem Bericht der historischen Belegungssituation Schweiß auf die Stirn der Verwaltungskraft treibt. Um Daten sinnvoll nutzen zu können, bedarf es im Kern eines zielgerichteten Datenmanagements (Data Management).
Man kann Data Management als die Zusammenführung technischer, organisatorischer und konzeptioneller Maßnahmen beschreiben, mit dem Ziel der Bereitstellung und Nutzung von Daten für die optimale Unterstützung von Prozessen und einer datengestützten Entscheidungsfindung in einer Organisation. Die Aufgabe des Data Managements ist es demnach, unstrukturierte Daten aus verschiedenen Quellen zu strukturieren und zusammenzuführen, um sie dann für bestenfalls automatisierte Auswertungen zu verwenden. Die wichtigste Aufgabe im Prozess obliegt dabei immer noch dem Menschen, der auf Basis dieser Vorarbeiten die Organisation beispielsweise besser steuern und lenken kann. Dabei entlastet Data Management gleichzeitig die Verwaltungskräfte von fehleranfälligen Korrekturschritten, bei denen Inhalte aus Software-Exporten und Excel-Tabellen angepasst und von einem Ort an den anderen geschoben werden. Ziel des Data Managements ist also nicht, schlicht möglichst viele Zahlen zu sammeln und wichtige Entscheidungen einem Computer zu überlassen, sondern ganz im Gegenteil, eindeutige und verlässliche Datengrundlagen zu schaffen, die Bereichsleitungen und Geschäftsführung bei wichtigen unternehmerischen Entscheidungen unterstützen.
Die Realität der Sozial- und Gesundheitswirtschaft
Auch wenn in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft die Kernprozesse der Leistungserbringung naturgemäß nahe am Menschen liegen und Gesetze und Regulatorien die Etablierung vieler digitaler Lösungen erschweren, so wächst auch hier die Menge an Daten in den letzten Jahren exponentiell. Ob es nun die Stammdaten von Klienten und Kostenträgern inklusive Informationen zur Abrechnung von Leistungen, Informationen über gegebenenfalls zusätzlich abrechenbare Leistungsbestandteile, Dokumentationen geplanter Förderziele oder dynamische Einsatzdaten des Personals sind, eines ist klar: Heute kursieren in sozialwirtschaftlichen Organisationen mehr Daten denn je, mit steigender Tendenz. Denn neue Regulatorien, wie beispielsweise das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz sehen vor, dass Pflegeeinrichtungen Versichertenstammdaten online abgleichen und Verordnungen elektronisch empfangen müssen. Es entstehen also weitere Datenströme, die effizienter Integration bedürfen.
Umso problematischer wirkt sich aus, dass sozialwirtschaftliche Träger in der aktiven Verwaltung und im Management von Daten anders als viele Unternehmen aus der freien Wirtschaft nicht gut aufgestellt sind. Dies liegt in Teilen sicherlich an den vorherrschenden, abschreckenden Regulatorien. Insbesondere personenbezogene Daten über Patienten oder Heimbewohner und ihren gesundheitlichen Status genießen in Deutschland aus gutem Grund höchste Datensicherheit. Doch da es im Datenmanagement einer sozialwirtschaftlichen Organisation nur zu einem kleinen Anteil um diese personenbezogen Daten geht, ist dies nicht der einzige Grund. Zu einem gewissen Grad liegt es auch an einem bis Weilen noch gering ausgeprägtem Data Mindset unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Führungskräften. Data Mindset bezeichnet dabei das Denken im Datenkontext und ein grundlegendes Verständnis darüber, wie Daten in einer Organisation fließen und welche Bedeutung ihnen beizumessen ist.
Datenmanagement spart Arbeitszeit
Im Fokus des Tuns steht in der Sozialwirtschaft schließlich immer noch der Mensch und das ist auch gut und richtig so. Und dennoch: Der Druck, sich mit Daten auseinanderzusetzen, wächst. Steuerungsanforderungen und Regulatorien, marktliche Entwicklungen, neue Player sowie sich wandelnde Anspruchsgruppenbedarfe fordern auch in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft eine Professionalisierung des Datenmanagements. Zudem führen eine hohe Digitalisierung sowie ein funktionierendes Datenmanagement mit automatisierten Workflows unmittelbar zu mehr Zeit für den Menschen, da viele manuelle und monotone Schritte wegfallen, die zuvor Arbeitszeit gekostet haben. Zusätzliche Steuerungsinformationen führen dabei zu wichtigen Unternehmensentscheidungen, die die Arbeit am Menschen auch in der Zukunft sichern.
Die Zeit, in der schlechte Datenqualität und unzuverlässige Datengrundlagen zu Entscheidungen aus dem Bauch heraus oder auf Basis unzureichender Informationen zu Fehlallokation führen, muss vorbei sein. Das bedeutet gleichzeitig, dass Organisationen sich viel differenzierter mit der Wahl der richtigen Steuerungskennzahlen beschäftigen können und müssen.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als wichtigster Faktor
Data Management erfordert ohne Frage Technologie, aber wie schon im Zusammenhang mit dem angesprochenen Data Mindset festgestellt, steckt ein wichtiger Faktor für erfolgreiches Data Management in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Organisation. Wenn keinerlei Datenverständnis in der Organisation existiert, ist es beinahe unmöglich, Datenmanagement nachhaltig zu implementieren. Hier steckt also auch ein möglicher Fallstrick, der von Beginn an mitgedacht werden muss. Es reicht nicht aus, einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Schulungen zum Thema Datenmanagement zu schicken. Alle in der Organisation müssen verstehen, warum Daten und ihre Pflege für eine spätere Auswertbarkeit so wichtig sind. Zudem ist es wichtig, zu vermitteln, dass die zusätzliche Transparenz nicht schädlich ist oder die Handlungsfreiheit reduziert. Tatsächlich sind Daten immer nur Hinweise auf bestimmte Entwicklungen und Situationen. Entscheidungen können vor dem Hintergrund strategischer Erwägungen auch jeweils entgegen der Datenlage getroffen werden. Um sich diesem Zielbild zu nähern, ist es sinnvoll, den aktuellen Wissensstand zu erheben und das Verständnis in der Organisation zu ermitteln: Ist die Bedeutung der Daten, die ich pflege, klar? Wann und was entscheide ich auf Basis von Daten? Interpretiere ich Daten richtig?
Je nach Ausgangssituation gilt es dann, genau an den Schwachstellen anzupacken und die Datenkompetenz in der Organisation zu steigern. Unserer Erfahrung nach scheitern deutlich mehr Datenmanagement-Projekte am fehlenden Data Mindset als an technischen Hürden. In manchen Fällen wurden teure Lösungen eingekauft, die in der Lage sind, alle relevanten Daten der Organisation zu aggregieren und sinnvoll auszuwerten, doch die mangelnde Datenkompetenz, das fehlende Verständnis für die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit datengetriebener Auswertungen oder ein ausgeprägtes Ressortdenken ließen das Projekt scheitern.
Die Quintessenz
Welche Erkenntnisse ziehe ich als Sozialwirtschaftlicher Träger also aus diesen Ausführungen zum Thema Datenmanagement?
1. Die Individualisierung der Leistungsangebote, gesetzliche Änderungen und eine fortschreitende Digitalisierung bringen zwangsläufig eine exponentiell wachsende Datenmenge mit sich.
2. Daten enthalten Informationen, welche für die Steuerung und Lenkung einer sozialwirtschaftlichen Organisation von zunehmender Bedeutung sind.
3. Belastbares und verlässliches Wissen lässt sich nur aus sorgfältig dokumentierten Daten ziehen, die zuvor durch einen Datenmanagement-Prozess aggregiert, transformiert und ausgewertet wurden.
4. Von zentraler Bedeutung für die nachhaltige und erfolgreiche Umsetzung eines vernünftigen Datenmanagements sind dabei, neben dem Einsatz der richtigen Technologien, die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihr Verständnis der Bedeutung von Daten.
5. Die Wichtigkeit von Daten in der heutigen Zeit, zeigt sich auch in der Festlegung einer ganzheitlichen Datenstrategie für die Organisation.
Der Prozess zur Einführung und konsequenten Umsetzung eines sinnvollen Datenmanagements ist alles andere als trivial und dabei gleichzeitig absolut notwendig. Die exponentiell wachsende Datenwelt bestraft Organisationen, die sich dem Thema erst übermorgen widmen.
Über die oben aufgezeigten Schritte lässt sich für Sie hoffentlich ein niederschwelliger Einstieg in das Thema finden. Die ressortübergreifende Sammlung von Datenquellen und Datenströmen ist dabei schon ein erster großer Schritt in die richtige Richtung. Natürlich unterstützen wir Sie gerne bei diesem Schritt und begleiten Sie auf dem Weg zu einer datengestützten Steuerung Ihrer Organisation.
Der Autor
Sven Buchholz ist Fachberater für die Bereiche Digitalisierung und Datenmanagement bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH. buchholz(at)rosenbaum-nagy.de
Die rosenbaum nagy unternehmensberatung unterstützt die Veröffentlichung und Verbreitung dieses Beitrags.