Die neuen Regeln kennen

Managementberaterin Brüning-Tyrell © contec GmbH
Seit Anfang 2023 gelten neue Vorschriften für das Betreuungsrecht. Heike Brüning-Tyrell von der contec GmbH stellt ausgewählte Änderungen vor und gibt Tipps für Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe.
Eine rechtliche Betreuung kann nur für erwachsene Menschen bestellt werden, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten nicht oder nur in Teilen selbst besorgen können. Mit dem neuen Betreuungsrecht, das mit dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 2021 beschlossen wurde, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass ab jetzt auch vor dem 18. Lebensjahr eine Betreuungsperson bestellt werden kann, wenn anzunehmen ist, dass dies erforderlich sein wird. Die Betreuung wird allerdings erst mit dem 18. Geburtstag wirksam (§ 1896 Abs. 5 BGB).
Aus Aufgabenkreisen werden Aufgabenbereiche
§ 1815 BGB bestimmt, dass die Aufgabenbereiche (zuvor: Aufgabenkreise), in denen eine rechtliche Betreuung stattfindet, im Einzelnen angeordnet werden müssen. Wie im alten Recht müssen sie jeweils auf ihre Erforderlichkeit geprüft werden. Unsicherheiten bestanden bislang bei der Bezeichnung der einzelnen Aufgabenkreise. Je nach Betreuungsgericht haben diese gelegentlich variiert. Mit dem neuen Betreuungsrecht soll dies einheitlicher werden. Dafür nennt das Gesetz folgende Aufgabenbereiche, die ausdrücklich angeordnet werden müssen:
- freiheitsentziehende Maßnahmen und Unterbringung
- Aufenthaltsbestimmungsrecht
- Umgangsrecht des/der Betreuten
- Entscheidung über Telekommunikation und elektronische Kommunikation
- Entgegennahme und Öffnen der Post
Die beiden letztgenannten waren bereits nach altem Recht ausdrücklich anzuordnen, die übrigen bislang nicht.
Nicht mehr zulässig ist die Anordnung einer Betreuung „in allen Angelegenheiten“. Betreuungsverhältnisse, die nach altem Recht geschlossen wurden und diesen Passus enthalten, sind bis zum 1. Januar 2024 zu ändern. Für alle anderen Betreuungen, die am 1. Januar2023 bestehen, gilt: Sie bleiben in der Regel weiterhin bis zur nächsten Entscheidung über Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung gültig, auch wenn sie keine ausdrückliche Nennung der ersten drei genannten Aufgabenbereiche beinhalten. Aber auch bei Anträgen auf konkrete freiheitsentziehende Maßnahmen und Unterbringungen werden diese Aufgabenbereiche geprüft und die Urkunde gegebenenfalls entsprechend geändert.
Inhalte der Bestellungsurkunde kennen
Die Betreuten haben das Recht, selbstständig innerhalb eines Aufgabenbereiches für sich zu entscheiden, soweit sie dazu fähig sind. Nur wenn sie das nicht sind, entscheidet die Betreuungsperson. Ihre Mitarbeitenden sind das Scharnier zwischen Betreuungsperson und betreuter Person und stehen in der Praxis immer wieder in Kommunikation mit den Betreuungspersonen, die am Ende darüber entscheiden, welche Rechte und Pflichten der oder die Betreute selbst wahrnehmen kann und bei der Wahrnehmung welcher der Leistungserbringer unterstützend tätig werden kann oder sogar muss.
Unser Tipp: Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeitenden die Inhalte der Bestellungsurkunden kennen. Das ist sowohl unabdinglich, um für die leistungsberechtigte Person so viel Selbstbestimmung wie möglich zu gewährleisten, aber auch, um zu wissen, welche Aufgaben bei Ihnen als Leistungserbringer liegen und welche nicht.
Abgrenzung von Betreuung und „andere Hilfen“
Eine weitere Regelung des neuen Betreuungsrechts in § 1814 Abs. 3 Nr. 2 BGB, die hinzugefügt wurde, regelt die Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Betreuungsperson und anderen Hilfspersonen. Danach darf eine Betreuung nicht für solche Aufgabenbereiche eingerichtet werden, die durch sogenannte „andere Hilfen“ erledigt werden können. Damit sind insbesondere die Hilfen gemeint, die auf sozialen Rechten und anderen Vorschriften beruhen. Auch bislang war die rechtliche Betreuung immer den anderen sozialen Rechten nachrangig, also auch der Eingliederungshilfe gegenüber. Es kam aber immer wieder zu Unklarheiten, welche Unterstützung ein sozialer Dienst leisten kann und wo die Pflichten der gesetzlichen Betreuungsperson anfangen. Mit „anderen Hilfen“ sind vor allem Familienangehörige, Bekannte und soziale Dienste gemeint, die die Person bei praktischen Angelegenheiten des Alltags unterstützen. Das können Behördengänge sein, das Ausfüllen von Anträgen oder vielleicht auch die Unterstützung bei der Entscheidung, ob bei einem Zahnarztbesuch eine Spritze gegeben werden soll.
Als Abgrenzung gilt: Wenn rein tatsächliche Angelegenheiten nicht mehr selbstständig besorgt werden können, rechtfertigt das in der Regel keine rechtliche Betreuung, sondern den Einsatz von Unterstützungspersonen.Diese Veränderungen sollten dringend auch im Teilhabeplan in Verbindung mit den zu beantragenden Assistenzleistungen berücksichtigt werden.
Bislang war es ohne Ausnahme ausgeschlossen, dass Mitarbeitende eines Leistungserbringers, der ein Vertragsverhältnis mit der zu betreuenden Person hat, eine rechtliche Betreuung übernehmen. Hier gibt es im neuen Betreuungsrecht eine Ausnahmeregelung. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass im Einzelfall keine konkrete Gefahr einer Interessenkollision besteht. Ob diese Regelung allerdings häufiger zum Tragen kommen wird oder auch im Sinne des oder der Betreuten ist, darf bezweifelt werden.
Recht auf „unvernünftige Entscheidungen“
Die rechtlichen Regelungen entfernen sich von der ursprünglich zwingenden Beachtung des möglichst objektiven Wohls der betreuten Person. Vielmehr ist vermehrt an mehreren Stellen von der „Beachtlichkeit der Wünsche“ die Rede. Hier manifestiert sich das für alle Menschen geltende Recht auf „unvernünftige Entscheidungen“. Nicht nur das objektiv Richtige und Gute ist entscheidend, sondern auch die Frage danach, was ein Mensch sich wünscht, wie er leben will, was ihm wichtig ist und wofür er Geld ausgegeben möchte. Ausnahmen bleiben dann bestehen, wenn die Erfüllung der Wünsche die Person oder ihr Vermögen erheblich gefährden würde und sie aufgrund der Behinderung diese Gefahr nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
Leistungserbringer sollten ihre Kundinnen und Kunden mit gesetzlicher Betreuungsperson dabei unterstützen, die eigenen Wünsche zu identifizieren und ihnen dabei helfen, diese auch gegenüber der rechtlichen Betreuung durchzusetzen. Diese Aufgabe entspricht dem Gedanken der Inklusion und dem derzeitigen fachlichen Diskurs.
Kontakt zwischen Betreuungs- und betreuter Person
Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Streit wegen der Frage, wie Betreuerinnen und Betreuer den Kontakt zur betreuten Person halten müssen. Auch bislang waren Betreuerinnen und Betreuer verpflichtet, deren Wünsche herauszufinden, was streng genommen zwangsläufig mit persönlichem oder telefonischem Kontakt einhergeht. Nun aber ist in § 1921 Abs. 5 BGB ausdrücklich normiert, dass die Betreuungsperson den erforderlichen persönlichen Kontakt zur betreuten Person zu halten hat, sich regelmäßig einen persönlichen Eindruck von ihr zu verschaffen und die Angelegenheiten zu besprechen hat. Damit ist eine rein telefonische Kontaktaufnahme oder der Kontakt nur zum Leistungserbringer, um sich nach der betreuten Person zu erkundigen, ausgeschlossen. Dies sollten Leistungserbringer im Zweifel gegenüber der Betreuungsperson verdeutlichen.
Die Autorin
Heike Brüning-Tyrell ist Managementberaterin Sozialrecht bei contec.
h.bruening-tyrell(at)contec.de
Die contec GmbH unterstützt die Veröffentlichung und Verbreitung dieses Beitrags.