Wirtschaftlichkeit in turbulenten Zeiten sichern

Es kommt zu immer mehr Insolvenzen auch von renommierten Trägern. Was die Gründe sind und wie Sozialunternehmen die Zahlungsunfähigkeit abwenden, erklärt Atilla Nagy von der Unternehmensberatung rosenbaum nagy.
Es vergeht faktisch keine Woche ohne Nachrichtenmeldungen, dass auch renommierte Träger der Sozialwirtschaft wirtschaftliche Probleme haben oder sogar Insolvenz anmelden müssen. Wir erleben aktuell turbulente Zeiten, in denen ein gefährliches Gemisch aus externen und internen Faktoren viele Unternehmen in ihrer Existenz gefährdet. Hierbei ist das tatsächliche Gefährdungspotenzial oft auf den ersten Blick weder für die Unternehmen noch für ihre Banken erkennbar.
Sozialwirtschaft im Umbruch: externe und interne Risikofaktoren für die Wirtschaftlichkeit
Was sind die wesentlichen externen Faktoren? Die letzten Pflegereformen sowie das Bundesteilhabegesetz haben langjährig bewährte Renditemodelle der Sozialwirtschaft außer Kraft gesetzt, indem neue Spielregeln definiert wurden. Insbesondere eine Unterschreitung der Soll-Stellen stellt aufgrund von Regressmöglichkeiten nunmehr eine unmittelbare Gefährdung der Wirtschaftlichkeit dar, vor allem bei den umsatzstarken stationären Angeboten. Kostenträger und Aufsichtsbehörden fordern in einem jetzt deutlich transparenteren System die Erfüllung der personellen Standards ein. Zugleich werden die Effekte des zunehmenden Personalmangels immer deutlicher, so dass entweder schlechte Auslastungsgrade oder der Einsatz von Leiharbeit zu Defiziten führen. Verschärft wird diese explosive Konstellation durch extreme Sprünge bei Personal- und Sachkosten, die nicht vollständig und kurzfristig durch höhere Entgelte refinanziert werden. Die bewussten oder aufgrund von Personalmangel bedingten Verzögerungen seitens der Kostenträger wirken als Brandbeschleuniger. Insbesondere bei bisher nicht tarifgebundenen Trägern ergeben sich hierdurch teilweise sehr große, sich dynamisch aufbauende Liquiditätslücken, die schnell existenzbedrohlich werden können.
Dass es so weit kommen konnte, hat aber auch interne Gründe. Bei vielen Trägern haben die häufig in der Summe positiven Effekte der Coronakrise den Blick für die tatsächliche wirtschaftliche Situation einzelner Angebote sowie für Mängel in der Administration verdeckt. Nun wird offenbar, dass die Finanzierung mancher Angebote nach den neuen Spielregeln nicht mehr kostendeckend, die Personaleinsatzplanung oder die Dienstplanung nicht effizient organisiert oder auch keine ausreichenden Kompetenzen vorhanden sind, schiedsstellenfeste Vergütungsverhandlungen zu führen. Zuweilen wird auch deutlich, dass den erkennbaren Umbrüchen in den Finanzierungssystemen nicht mit rechtzeitigen organisatorischen und strategischen Anpassungen begegnet wurde.
Die Wirtschaftlichkeit und die Liquidität können sich kurzfristig krisenhaft verschlechtern
Die Tiefe dieser krisenhaften Entwicklungen wird oft erst mit einer erheblichen Verzögerung erkannt. Aufgrund der Effekte verschiedener Corona-Ausgleichsmaßnahmen gestalteten sich die Ergebnisse vieler Angebote in den Jahren 2020-2022 insgesamt besser, als dies aufgrund der Entwicklung des reinen Kerngeschäftes bedingt war. Mit dem Auslaufen der Coronaausgleichsmaßnahmen, der Tarifpflicht in der Pflege ab September sowie den allgemeinen Preis- und Lohnsteigerungen kam es bei vielen Trägern zu einer drastischen Ergebnisverschlechterung im zweiten Halbjahr 2022.
Unternehmen mit einer guten strategischen und operativen Steuerung konnten die zu erwartenden Entwicklungen vergleichsweise früh antizipieren und Gegenmaßnahmen einleiten, während insbesondere Träger mit einer unzureichenden unterjährigen Steuerung die zuweilen dramatischen Ergebniseinbrüche erst mit einer größeren zeitlichen Verzögerung, teilweise erst im Verlauf des Jahres 2023 erkannt haben.
Gute Steuerungsinstrumente sind unerlässlich, um die Unternehmensentwicklung nicht nur möglichst schnell, sondern auch hinsichtlich ihrer verschiedenen Dimensionen richtig einzuschätzen. Krisenhafte Entwicklungen und ihre Risiken werden gerade von Unternehmen, die viele wirtschaftlich erfolgreiche Jahre hinter sich haben, oft unterschätzt.
Dabei haben Negativentwicklungen oft eine besondere, sich verstärkende Dynamik. Auch hinsichtlich des Eigenkapitals und der Verschuldung grundsätzlich solide aufgestellte Unternehmen können vergleichsweise schnell in Liquiditätsprobleme geraten, wenn sich bei den aktuellen ungewöhnlich hohen Kostensprüngen Verzögerungen beim Abschluss adäquater Vergütungssatzverhandlungen ergeben – was leider aktuell deutschlandweit zu beobachten ist.
Ein Beispiel hierzu: Wenn sich bei einem Unternehmen mit etwa 50 Millionen Euro Umsatz und einer Kostensteigerung von 10 Prozent die Vergütungsverhandlungen um ein halbes Jahr verzögern, so bedeutet dies einen Liquiditätsabfluss von 2,5 Millionen Euro. Unterstellen wir zudem, dass das in den Jahren bis 2020 ein in etwa ausgeglichenes Ergebnis erwirtschaftet hat, das sich aber im Laufe der letzten Jahre operativ unmerklich verschlechtert hat, so dass das operative Ergebnis 2022 bei -1 Prozent und in 2023 ceteris paribus bei -4 Prozent Umsatzrendite liegt, zum Beispiel aufgrund einer rückläufigen Belegung oder des Einsatzes von Leiharbeit. Hierdurch verliert das Unternehmen weitere eine Million Euro Liquidität. Mithin fehlen bereits vier Millionen Euro Liquidität Ende 2023 gegenüber der Situation Ende 2021 und 3,5 Millionen Euro gegenüber Ende 2022. Auch wenn das Unternehmen einen geringen Verschuldungsgrad hat, ist es in einer solchen Situation schwierig, von den Banken Kredite zu erhalten, selbst wenn die Immobilien noch Beleihungssicherheit bieten. Denn die Banken erwarten in einer solchen Situation eine klare Darlegung, wie sich die Ertrags- und Liquiditätssituation verbessert und der Kapitaldienst gesichert werden kann.
Dies bedeutet, dass auch ein vermeintlich gesundes Unternehmen sich recht kurzfristig in einer durchaus herausfordernden, krisenhaften Situation wiederfinden kann.
Die Erfahrung zeigt, dass die Tiefen von Krisen oft unterschätzt werden, so dass wertvolle Zeit verloren geht, bis den Entwicklungen mit der erforderlichen Konsequenz begegnet wird.
Was ist zu tun, um Liquidität und Wirtschaftlichkeit zu sichern?
Um solche Situationen zu vermeiden, müssen vornehmlich folgende Kompetenzen gestärkt werden, um die Liquidität und die Wirtschaftlichkeit zu sichern:
- Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs ist immer eine geschäftsfeldspezifische operative Steuerung, durch die ein vertragskonformer auftrags- beziehungsweise belegungsabhängiger und zugleich wirtschaftlicher Ressourceneinsatz gewährleistet wird.
- In der Kostenrechnung muss eine Qualität sichergestellt werden, die sehr gut vorbereitete Vergütungsverhandlungen und im Zweifelsfall auch das Führen von Schiedsstellenverfahren ermöglicht. Solange diese Grundlage nicht gegeben ist, können die Leistungsanbieter in den Verhandlungen ihre berechtigten Interessen nicht durchsetzen und machen sich erpressbar.
- Bei Verzögerungen seitens der Kostenträger müssen frühzeitig und konsequent Schiedsstellenverfahren eingeleitet werden.
- Das unterjährige Finanzberichtswesen inklusive Abgrenzungen und idealerweise auch Forecasts sollten Standard sein. Ergänzt werden sollte das Berichtswesen auch um ein geschäftsfeldspezifisches Controlling (zum Beispiel Überprüfung der Einhaltung von Stellenschlüsseln in Abhängigkeit von der Belegung, laufende Nachkalkulation der einzelnen Vergütungssatzpositionen, Steuerung der Produktivität in ambulanten Aufgabenfeldern etc.).
- Sobald sich abzeichnet, dass es Verzögerungen bei der Vergütungsfindung gibt oder eine längere Konsolidierungsphase ansteht, sollten die Unternehmen eine differenzierte, auf mehrere Jahre ausgerichtete, realistische Ertrags- und Liquiditätsplanung aufstellen. Dies dient einerseits dem Management und den Aufsichtsgremien zur laufenden Überwachung und Bewertung der Unternehmenssituation, im Zweifelsfall auch hinsichtlich insolvenzrechtlicher Anforderungen. Andererseits erleichtert diese Planung auch die Aufnahme von Darlehen, falls dies erforderlich werden sollte.
Die aufgezählten Punkte sind in sich abzeichnenden krisenhaften Situationen möglicherweise existenziell wichtig, aber auch zu normalen Zeiten bilden sie die Grundlage einer erfolgreichen Unternehmensführung und der Sicherung der Wirtschaftlichkeit.
Atilla Nagy
Rosenbaum Nagy unterstützt die Veröffentlichung und Verbreitung dieses Beitrags.