Personenzentrierung

Die Leistungserbringung neu strukturieren

Das BTHG stellt viele neue Anforderungen an Leistungserbringer. Welche Folgen eine stärkere Personenzentrierung für die Personalbemessung hat, zeigt Marktfeldleiterin Birgitta Neumann von der contec GmbH.

Mit der Überführung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen aus dem SGB XII in das SGB IX gingen weitgehende Änderungen des Leistungssystems, der Leistungserbringung und der Finanzierung der Leistungen einher. So wurden zum 1. Januar 2020 zum Beispiel die Leistungen der bisherigen stationären Einrichtungen, jetzt besondere Wohnformen genannt, auch im Sinne einer verstärkten Personenzentrierung in Fach- und existenzsichernde Leistungen getrennt. Unter Fachleistungen sind alle Leistungen der Eingliederungshilfe zu verstehen, ob sie nun von Fachkräften oder Nichtfachkräften erbracht werden. Um die Fachleistungen nach den individuellen Bedarfen bemessen und die Leistungserbringung zielgenauer steuern zu können, wurde ein neues Verfahren zur Ermittlung des Bedarfes bis hin zur Bescheiderteilung durch den Leistungsträger im Gesetz aufgenommen: das Gesamtplanverfahren. Für das gesamte Verfahren ist der Leistungsträger verantwortlich.

Zusätzlich wurden unterschiedliche Assistenzleistungen eingeführt, die eine personenzentrierte Leistungserbringung ermöglichen sollen. Vergleichbar mit dem bisherigen ambulanten Bereich wurde in vielen Bundesländern der Versuch unternommen, auch im Bereich der besonderen Wohnformen die Leistungen stärker zu modularisieren. Ziel ist es einerseits, den Leistungsberechtigten verschiedene Wahlmöglichkeiten zu eröffnen, andererseits aber auch die Qualität der Dienstleistungen zu befördern. Diese Modularisierung in die unterschiedlichen Assistenzleistungen findet in den Bundesländern sehr unterschiedlich statt. Die einen Bundesländer kategorisieren die Leistungen stärker und pauschalisieren die dazugehörigen Vergütungen, beispielsweise als Tagespauschale. Andere wiederum kalkulieren die individuell zu erbringenden Fachleistungen überwiegend auf der Basis von Stundenvergütungen, beispielsweise als Fachleistungsstunden. Und wieder andere Bundesländer kombinieren beide Möglichkeiten und bieten eine Kombination aus Tagespauschale und Fachleistungsstunden an.

Wie kann diese Modularisierung der Fachleistungen nun in der Praxis gut abgebildet werden und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Personalbemessung für die Leistungserbringer?  

Neue Leistungssystematiken anwenden

Nach der gesetzlichen Regelung sind die Leistungen in qualifizierte und nicht-qualifizierte Assistenzleistungen zu unterschieden. Die Unterteilung fragt danach,

1. ob es sich bei den Leistungen um kompensatorische Übernahmeleistungen für die Personen handelt (wie zum Beispiel die Übernahme von Einkäufen) oder

2. ob gezielt etwas mit der Person trainiert oder geübt wird.

Je nach Schwerpunkt und Ziel der Assistenzleistung wird dementsprechend ein anderes Mitarbeitenden-Profil benötigt.

Durch die Zuordnung der benötigten Leistungen ergibt sich eine neue Leistungssystematik, welche die entsprechend benötigten Stunden – und damit auch den Personalbedarf und die notwendige Personalqualifikation – abbildet. Es entsteht ein Überblick über die aufzuwendenden Stunden unter Berücksichtigung aller Bedarfe.

Um die persönlichen Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzer in ein konkretes Leistungsangebot zu übersetzen, braucht es zusätzlich zu gesetzlichen Regelungen eine vergleichbare, ordnende Systematik. Durch die vertiefte Betrachtung der Zielgruppe und der vorhandenen Teilhabebedarfe können zum Beispiel in der Basis drei Leistungsarten unterschieden werden:  

  • Hintergrundleistungen: umfassen Leistungen, die bei Bedarf abgerufen werden können – das sind zum Beispiel eine Nachtwache, Tagespräsenz oder Rufbereitschaft.
  • Individuelle Leistungen: umfassen Assistenzleistungen, welche auf Grundlage der Gesamt- und Teilhabeplanung der leistungsberechtigten Person im Einzelkontakt erbracht werden.
  • Gemeinschaftliche Leistungen: umfassen Leistungen, die durch die leistungsberechtigten Personen gemeinsam in Anspruch genommen werden möchten, wie beispielsweise Freizeit- und Gruppenangebote. Diese gemeinsamen Bedarfe können beim Leistungsträger gesammelt verhandelt werden.

Maßgeblich sind allerdings die Regelungen in den jeweiligen Landesrahmenverträgen der einzelnen Bundesländer, da hier teilweise andere Leistungsarten vereinbart wurden.

Wichtig für die Überführung der einzelnen Bedarfe der Leistungsberechtigten in eine Personalbemessung und damit auch in eine Vergütungsberechnung, ist die Zuordnung der Bedarfe in Zeitwerte. Grundlage dafür bieten die mit den Leistungsträgern vereinbarten Gesamtpläne. Im Gesamtplanverfahren werden die individuell benötigten Fachleistungen ermittelt, geplant und regelmäßig überprüft. Die Vorstellungen und Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer sind maßgeblich und zu beachten. Zum Teil beinhalten die Gesamtpläne bereits Personalangaben in Vollzeitäquivalenten für einzelne Leistungen.

Personalbemessung erfolgreich durchführen

Für die Personalbemessung ist demzufolge die Berechnung der notwendigen Zeitwerte besonders wichtig, die sich aus den Bedarfen in den unterschiedlichen Leistungsmodulen, wie zum Beispiel individuelle Assistenz oder Hintergrundleistungen, ergeben. Denn diese zeigen auch auf, wie viel Personal vorgehalten werden muss.

Gemäß der grundsätzlichen Vorgabe im BTHG ist auf Kostenneutralität bei der Umsetzung der gesetzlichen Richtlinien zu achten. Dies hat zur Folge, dass der Leistungserbringer die definierten Leistungen mit dem Personal umsetzen muss, das ihm auch vor der Umstellung der Leistungssystematik zur Verfügung stand. Stellt sich bei der Berechnung der benötigten Personalressourcen anhand der definierten Bedarfe und Leistungen heraus, dass die aktuell tatsächlich einsetzbaren personellen Ressourcen nicht ausreichen, sollte der Leistungserbringer in Einzelverhandlungen mit dem Leistungsträger nachverhandeln. Hierbei ist insbesondere wichtig, die Teilhabebedarfe der Zielgruppe und die daraus resultierend notwendigen Assistenzleistungen inhaltlich und finanziell so abzubilden, dass eine erfolgreiche Verhandlung möglich ist.

Personalbedarf abbilden

Mit der Personenzentrierung wird das Leistungsangebot individuell ausgerichtet und damit vielfältig und komplexer. Daran müssen sich auch Personalbemessung und -planung anpassen. Folgende Aspekte können helfen, den Personalbedarf adäquat abzubilden:

  • Abgleich der Bedarfe: Ein Abgleich der tatsächlich vorhandenen und zukünftig von den Nutzerinnen und Nutzern benötigten Leistungen ermöglicht den Leistungserbringern, ihre Leistungen und Abläufe konkret zu definieren und strukturieren. Wichtig ist, dass sie sich stets über ihre personellen Ressourcen bewusst sind und Stunden nur entsprechend verplanen.
  • Leistungsangebot überprüfen: Der Blick auf bereits vorhandene Individualleistungen kann es den Einrichtungen erleichtern, die eigene Leistungsstruktur zu erfassen und Rückschlüsse für die Weiterentwicklung zu ziehen. Eine Übersicht darüber kann zudem den Leistungsberechtigten bei ihren Entscheidungen helfen.
  • Austausch und Beteiligung: Für ein umfassendes Bild über das eigene Leistungsangebot und die Potenziale für eine personenzentrierte Ausrichtung sollten Leistungserbringer die Fach- und Führungskräfte, Leistungsberechtigten und Angehörigen bei der Bestands- und Bedarfsaufnahme aktiv einbeziehen.
  • Realistische Vereinbarungen: Transparente und realistische Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen sind notwendig, um dauerhaft kostendeckend und wirksam zu arbeiten.

Die Anforderungen einer personenzentrierten Leistungserbringung bedeuten eine strukturelle Umstellung der bisherigen Leistungsangebote und damit auch die Überprüfung und möglicherweise Weiterentwicklung der Personalbemessung. Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem bestehenden Leistungsangebot deckt zudem Potenziale für eine individuelle Leistungserbringung auf. Diese gilt es mit einem entsprechend angepassten Personaleinsatz umzusetzen, um nicht zuletzt die Teilhabe der leistungsberechtigten Personen zu ermöglichen.


Die Autorin

Birgitta Neumann ist Marktfeldleiterin für Unternehmen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe bei der contec GmbH.
b.neumann(at)contec.de

Die contec GmbH unterstützt die Veröffentlichung und Verbreitung dieses Beitrags.

Den Artikel im Heft finden Sie hier.