Gute Entscheidungen im Einvernehmen treffen

Berater und Coach Schulz © Hans-Joachim Schulz
In einem Gremium kann es schwer sein, einvernehmlich Entscheidungen zu treffen. Wie Führungskräfte gleichberechtigt Lösungen finden, erklärt Organisationsberater Hans-Joachim Schulz.
Gute Entscheidungen in einem Gremium setzen voraus, dass vorher gemeinsam gut gedacht worden ist. Die Voraussetzungen für gutes Denken hat Nancy Kline beschrieben. Zu den Voraussetzungen für gemeinsames gutes Denken gehören unter anderem die gegenseitige Wertschätzung aller Beteiligten, die Neugier und das wirkliche Interesse an den Gedanken der anderen, die Zugewandtheit im Gespräch und vor allem das gute Zuhören, ohne das Gegenüber zu unterbrechen.
Wenn wir an die vielen Sitzungen und Meetings zurückdenken, an denen wir bisher teilgenommen haben und an denen wir heute regelmäßig teilnehmen, werden wir feststellen, dass viele davon nicht diesen Voraussetzungen entsprechen:
Wie oft erleben wir, dass Teilnehmende diejenige Person, die gerade spricht, nicht freundlich und wohlwollend anschauen, sondern zum Beispiel in ihrem Smartphone die neuesten Nachrichten abrufen, an die Decke gucken oder auf den Tisch?
Wie oft erleben wir, dass nicht aus wirklichem Interesse aneinander zugehört wird, sondern zugehört wird um zu antworten, die Antwort beim Zuhören bereits formulierend?
Wie oft erleben wir, dass das Gespräch nur zwischen einigen Teilnehmenden stattfindet und andere sich nicht beteiligen?
Wie oft erleben wir ritualisierte Pro- und Contra-Redebeiträge zwischen Einzelnen, die immer wieder neu aufgelegt werden?
Wie oft erleben wir, dass wir die Aussagen von bestimmten Personen gleich in eine Schublade mit dem Etikett ‚Führung‘, oder ‚Betriebsrat‘ ablegen oder einfach nur denken „der schon wieder“?
Wie oft erleben wir, dass wir einander unterbrechen?
Diese Liste ließe sich noch nach Belieben verlängern, aber ich glaube, es wird deutlich, dass all dies nicht zu einem gemeinsamen guten Denken beiträgt, das in der Folge zu guten Entscheidungen führen würde. Wie aber kommen wir in diesem Sinne zu einer gelingenden Gesprächskultur in unseren Meetings und Gremien?
Neue Gesprächskultur schaffen
Christina Baldwin und Ann Linnea haben die uralte Gesprächsform des Kreises für die Gestaltung von Meetings in Unternehmen wiederbelebt. Daraus entwickelte sich in Verknüpfung mit dem Ansatz von Nancy Kline die Methode des ‚Thinking Circle‘ als eine andere Form der Kommunikation und Gesprächskultur in Gremien und Meetings. Insbesondere nach einer Fusion, bei der ja unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinander treffen, bietet ‚Thinking Circle‘ die Möglichkeit der Schaffung einer für alle neuen und gemeinsamen Gesprächskultur.
‚Thinking Circle‘ schafft den Rahmen, der es ermöglicht, gut und kreativ miteinander zu denken und gut miteinander in ein gelingendes Gespräch zu kommen, das zu gemeinsamen Einsichten und Ergebnissen führt. Die Grundidee des ‚Thinking Circle‘, auf die ich mich bei der Darstellung der Methode im Rahmen dieses Beitrags beschränken möchte, ist das Gespräch im Kreis. Für das Gespräch im Kreis gilt die Grundregel: Wir hören einander neugierig, aufmerksam, zugewandt und wertschätzend zu und urteilen nicht übereinander. Dabei bedeutet ‚wir urteilen nicht übereinander‘, dass wir das, was gesagt wird, nicht von vornherein in eine bestimmte Schublade stecken.
Ausgehend von einer für alle relevanten Fragestellung beginnt eine Person im Kreis, ihre Gedanken zu der Fragestellung zu formulieren, alle anderen hören dieser Person im Sinne der Grundregel neugierig, aufmerksam, zugewandt und wertschätzend zu. Wenn die Person ihre Gedanken zum Thema ausgesprochen hat und zunächst fertig ist, gibt sie das Gespräch weiter an die nächste Person im Kreis, im oder entgegen dem Uhrzeigersinn, die nun ihrerseits ihre eigenen Gedanken zum Thema ausführt und wenn sie fertig ist, das Gespräch weiter in die Runde gibt usw. Haben alle Personen im Kreis die erste Gesprächsrunde beendet, kann zu der Fragestellung eine weitere, vertiefende Gesprächsrunde folgen oder eine Gesprächsrunde zu einer neuen, aufbauenden Frage.
Was dabei entsteht ist, dass sich die Gedanken im Verlauf des Kreises weiterentwickeln, bei jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin, wie auch im Kreis insgesamt. Es kommt zu ganz neuen Ideen und Erkenntnissen in Bezug auf die ursprüngliche Fragestellung, möglicherweise auch zu tiefergehenden Fragen, und im Verlauf der Gesprächsrunden entsteht nach und nach die Antwort oder die Lösung. Es kommt auch vor, dass der Durchbruch bereits nach zwei Gesprächsrunden gelingt und die Lösung offenkundig für alle im Raum steht.
Entscheidung im Konsent
Steht die Antwort oder die Lösung im Raum, ist es an der Zeit, diese in die Formulierung einer einvernehmlichen Entscheidung zu überführen. Wie kommt es jetzt zu dieser Entscheidung?
Bei einer einvernehmlichen Entscheidung denken die meisten zunächst, dass es sich dann ja um eine Konsensentscheidung handeln müsse. Allerdings haben Konsensentscheidungen den Nachteil, dass jede Person im Kreis ein Vetorecht hat, ohne dies näher begründen zu müssen. Bedenken oder ungute Gefühle reichen für das Veto aus. Dies kann dazu führen, dass sich Konsensentscheidungen ziemlich lang hinausziehen, manchmal während des Meetings gar keine Entscheidung getroffen werden kann und das Thema vertagt werden muss, Letzteres manchmal auch mehrfach. Oder es kann dazu führen, dass das Ergebnis nur einen ‚Minimalkonsens‘ darstellt, ein letztlich unbefriedigender Kompromiss, der dann nicht mehr eine gute Entscheidung darstellt.
Ich habe viele Jahre in meinen Beratungsprojekten auch nach dem Konsensprinzip gearbeitet. Vor einigen Jahren bin ich dann auf den Konsent gestoßen, das Entscheidungsprinzip der Soziokratie beschrieben von Barbara Strauch und Annewiek Reijmer und wende dieses seitdem sehr erfolgreich und mit großer Akzeptanz meiner Kunden in meinen Projekten an.
Das Konsentprinzip bedeutet im Kern: Eine Entscheidung gilt dann, wenn kein Teilnehmer oder keine Teilnehmerin mehr einen schwerwiegenden und argumentierten Einwand gegen einen zu fassenden Beschluss hat. Es gibt hier also kein einfaches Vetorecht aufgrund von Bedenken oder unguten Gefühlen wie beim Konsensprinzip, sondern der Einwand muss auf der Basis von nachvollziehbaren Argumenten begründet werden. Ist ein schwerwiegender Einwand tatsächlich vorhanden, so muss er in die Entscheidungsfindung integriert werden. Die Benennung und Bearbeitung der möglichen Einwände kann wiederum sehr gut im Thinking Circle erfolgen.
Einvernehmliche gute Entscheidungen können getroffen werden durch gutes Zuhören und gutes Denken im Rahmen einer nach der Fusion für alle Beteiligten gemeinsamen neuen Gesprächskultur und durch die Entscheidungsfindung nach dem Konsentprinzip.
Der Autor:
Hans-Joachim Schulz ist Coach und Berater für Organisationsentwicklung und Inhaber von Schulz Consulting.
www.schulz-consulting.org
schulzconsulting@t-online.de
MEHR INFORMATIONEN
Kline, Nancy (2016): Time to Think - 10 einfache Regeln für eigenständiges Denken und gelungene Kommunikation, Hamburg: Rowohlt Verlag.
Baldwin, Christina; Linnea, Ann (2014): Circle - Die Kraft des Kreises, Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Strauch, Barbara; Reijmer, Annewiek (2018): Soziokratie - Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen, München: Vahlen Verlag.