Der Drang zur Weiterentwicklung

Curacon-Partner Seeger © Curacon Steuerberatung
Die Curacon-Studie zur Eingliederungshilfe zeigt, wie die Branche auf das BTHG reagiert. Die Leistungserbringer reagieren mit vielfältiger Weiterentwicklung und strategischer Planungen.
Seit Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) im Jahr 2016 steht dessen Zweck und geplante Umsetzung in der Kritik. Der Themenkomplex bewegt die Branche, die Anforderungen sind vielfältig und hoch, nahezu alle Prozesse müssen verändert werden. Curacon hat diesen Anforderungen bereits in den BTHG-Studien 2018 und 2019 Rechnung getragen. Seit der letzten Befragung befinden sich die Leistungserbringer aber weiterhin im Schwebezustand, die Umsetzung des BTHG verläuft schleppend. Dies zeigen die Ergebnisse der neuen Curacon-Studie zur Eingliederungshilfe.
BTHG – ein bemerkenswertes Zwischenfazit
Nunmehr fünf Jahre nach Inkrafttreten des BTHG wird das Gesetz insgesamt weiter kritisch wahrgenommen. Die Branche zeigt sich größtenteils mit der Aussage „Das BTHG ist ein Bürokratiemonster“ einverstanden. 85 Prozent stimmen hier zu. 67 Prozent der teilnehmenden Leistungserbringer empfinden die Umsetzung zudem als großes Chaos. Das ist ein bemerkenswert kritisches Zwischenfazit. Auch scheint aus Sicht der Branche die Umsetzung noch lange nicht abgeschlossen zu sein. Nur sechs Prozent sehen hier einen zeitnahen Abschluss. 80 Prozent rechnen hingegen mit einem Umsetzungshorizont von weiteren drei bis fünf Jahren.
Aber bringt das BTHG einen Nutzen für Menschen mit Behinderung? Bei der Frage, ob das BTHG nun ein Teilhabebeschleuniger ist oder als Bremse fungiert, nehmen 43 Prozent der Befragten eine neutrale Position ein, während sich die restlichen Leistungserbringer auf beide Polaritäten gleichmäßig verteilen. Auch die Frage, ob das BTHG für Menschen mit Behinderung oder für die Leistungserbringer ist, bildet keine eindeutige Antwort im Studiensample. Verschärfend kommt hinzu, dass sich die sowieso schon angespannte Finanzierungslage aus Sicht von 64 Prozent der Leistungserbringer durch das BTHG weiter verschärft. Lediglich fünf Prozent empfinden die Finanzierung als auskömmlich.
Das BTHG wird in der Branche also weiterhin kritisch wahrgenommen. Die Anforderungen sind hoch – und damit nicht genug: Auch die strategische Ausrichtung der Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe ist von großer Bedeutung.Es ist wichtig, die eigene Strategie hinsichtlich der Leistungsangebote im Blick zu behalten und in diesem Zuge auch über den berühmten Tellerrand zu blicken.
Das Potential der Schnittstellenarbeit
Eine gelingende Schnittstellenarbeit ist in der Eingliederungshilfe unabdingbar. Die Belange und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen fallen häufig auch in andere Hilfefelder des Sozialgesetzbuches (SGB) als in die Eingliederungshilfe. So bildet sich hier häufig die Schnittstelle zwischen der Eingliederungshilfe und der Pflege, sobald Menschen mit Behinderung einen immer höher werdenden Pflegebedarf entwickeln. 71,4 Prozent der befragten Leistungserbringer haben bereits entsprechende Leistungsangebote strategisch in den Blick genommen und planen voraussichtlich Pflege und Leistungen der Eingliederungshilfe aus einer Hand. So wurden beispielsweise bereits Pflege-WGs und Pflegeeinrichtungen mit aufgesattelter Eingliederungshilfe etabliert, Seniorengruppen eingeführt oder Tagespflegen aufgebaut. Die Unternehmen hinter den Eingliederungshilfen gründen darüber hinaus teilweise Pflegedienste und Seniorentagespflegen oder evaluieren deren Gründung strategisch.
Auf der Schnittstelle zur Kinder- und Jugendhilfe ergibt sich ein ähnliches Bild, jedoch scheint die Pflege derzeit insgesamt einen höheren Stellenwert bei der strategischen Ausrichtung einzunehmen. Auch ungeachtet der vom Gesetzgeber initiierten inklusiven Lösung durch die Reform des SGB VIII nehmen lediglich 50,5 Prozent der Befragten Leistungsangebote für junge Menschen – gleich mit welcher Behinderung – strategisch in den Blick. Einzelne Leistungserbringer etablieren bereits eigene Kinder- und Jugendhilfe-Bereiche und eigene SGB-VIII Wohnformen, weitere planen derartige Leistungsangebote. Darüber hinaus sind integrative Gruppen von Schulen und Schulkindergarten sowie Angebote zur sozialpädagogischen Familienhilfe und Elternassistenz strategische Knotenpunkte, die vermehrt in den Blick genommen und geplant werden.
Die komplette Curacon-Studie fokussiert weitere Komponenten der Organisation wie Digitalisierung, Controlling oder Fachkräftemangel in der Eingliederungshilfe sowie die strategische Ausrichtung der Leistungserbringer. Bei Interesse an den Studienergebnissen besteht die Möglichkeit die Studie über die Curacon GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unter studien(at)curacon.de zu bestellen. Die Studie befindet sich derzeit in der Bearbeitung, die Veröffentlichung ist für September 2022 geplant.
Studiendesign
Die Curacon-Studie zur Eingliederungshilfe ist nach den Fokus-Veröffentlichungen zur Vorbereitungs- und Umsetzungsphase des BTHGs in den Jahren 2018 und 2019 die dritte Veröffentlichung der Studienreihe. Neben dem aktuellen Stand zum BTHG erfasst die diesjährige Studie Entwicklungstendenzen und Potentiale in der Organisation und strategischen Ausrichtungen von Einrichtungen und Unternehmen in der Eingliederungshilfe. Die Datengrundlage der Studie ergibt sich über eine Online-Befragung, die zwischen Februar und Mitte April durchgeführt wurde, und umfasst 107 Teilnehmer:innen.
Autoren der Studie:
Andreas Seeger ist Partner bei Curacon und leitet das Ressort Eingliederungshilfe und Kinder- und Jugendhilfe
andreas.seeger(at)curacon.de
Christiane Hasenberg ist Partnerin bei der Curacon Rechtsanwaltsgesellschaft und Fachanwältin für Sozialrecht
christiane.hasenberg(at)curacon-recht.de
Alina Güntner ist Senior Managerin bei Curacon
alina.guentner(at)curacon.de