Auf Fälle sexualisierter Gewalt richtig reagieren

Kommunikationsberaterin Meißner © Meissner The Resilience Company
Bei einem Verdacht der sexualisierten Gewalt durch eine Führungskraft, müssen Verantwortliche schnell und mit Bedacht zu kommunizieren. Wie sie am besten vorgehen, zeigt Krisenkommunikationsberaterin Jana Meißner.
Geraten Organisationen in eine Krise, haben sie sich zuvor nur in den seltensten Fällen mit möglichen Krisenszenarien auseinandergesetzt, gar eine Krisenstabsstruktur implementiert und regelmäßige Szenario-Trainings durchgeführt. Krisenunerfahrene Organisationen haben häufig das Problem, in einem akuten Ereignisfall handeln zu müssen, aber keinerlei Krisenkompetenz in den eigenen Reihen zu besitzen.
Steht ein so gewichtiger Vorwurf wie jener des sexuellen Missbrauchs durch eine Führungskraft im Raum, sollten bei den Organisationsverantwortlichen die Alarmglocken schrillen – ganz gleich, ob krisenerfahren oder -unerfahren. Das Thema hat eine enorm hohe öffentliche Wahrnehmung – spätestens nach der #Metoo-Debatte. Was ist im Verdachtsfall von Seiten des Krisenmanagements und insbesondere seitens der Krisenkommunikation zu tun?
1. Fakten von Gerüchten unterscheiden
Wenn der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum steht, wird oft viel zu schnell und unkoordiniert gehandelt. Die erste Herausforderung ist nicht, aktiv zu kommunizieren. Die erste Herausforderung ist, den Sachverhalt zunächst zu prüfen. Welche gesicherten Informationen gibt es? Aus welchen Quellen stammen sie? Sind die Quellen vertrauenswürdig? Allein die Fakten zählen! In Betracht gezogen werden sollte immer auch, dass es sich bei dem Vorwurf um eine Verleumdungskampagne handeln könnte, die das Ziel hat, die Führungskraft oder gar die gesamte Organisation nachhaltig zu schädigen.
An prominenten Beispielen wie den TV-Moderatoren Jörg Kachelmann und Andreas Türck, beide wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung angeklagt und schließlich freigesprochen, konnte man solche Kampagnen beobachten. Geklärt werden sollte aber auch, ob es bei der betreffenden Person und in der Organisation selbst bereits Vorgeschichten dieser Art gegeben hat, die auf einen wahren Kern des erhobenen Vorwurfes hindeuten könnten. Die katholische Kirche, in der Missbrauch ein generelles und strukturelles Problem zu sein scheint, ist hier ein relevantes Beispiel.
2. Schnell und transparent kommunizieren
Unabhängig davon, ob sich der Missbrauchsvorwurf erhärtet oder nicht, gilt der Grundsatz, in der Krise transparent und schnell zu kommunizieren. Spätestens dann, wenn die Gerüchteküche intern bereits brodelt oder der pikante Vorwurf sogar schon zur Öffentlichkeit, insbesondere zu den Medien, aber auch zu weiteren externen Stakeholdern durchgedrungen ist. Organisationen neigen häufig dazu, abwarten zu wollen, bis hundertprozentige Klarheit herrscht. Bis dahin haben sich Gerüchte oder Fake News aber längst verbreitet und in den Köpfen der Allgemeinheit verfestigt.
Um die Reputation der Organisation zu schützen, bedarf es der frühen Teilhabe an der Meinungsbildung. Insbesondere dann, wenn die Anschlussfähigkeit eines Themas groß ist, sollte von Seiten der Organisation möglichst früh kommuniziert werden. Bei sexuellem Missbrauch ist die Anschlussfähigkeit gegeben, das öffentliche Interesse ist groß, vergleichbare Fälle gibt es wie Sand am Meer und die Medien werden sich sicher auf das Thema stürzen.
Im Kontext eines Missbrauchsvorwurfs gibt es allerdings hinsichtlich des Kommunikationsgrundsatzes der Transparenz ein Problem: Möglicherweise ginge mit einer transparenten Kommunikation eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des potenziell Verdächtigen gemäß Artikel 1 Grundgesetz einher. Sollten unzulässige Vorwürfe veröffentlicht werden, könnte der potenziell Verdächtige Unterlassungsansprüche im eilgerichtlichen Verfahren geltend machen. In einem solchen Verfahren wären die mutmaßlich Betroffenen mit dem Erfordernis einer Aussage konfrontiert. Damit sind die Betroffenen gleich mehrfach betroffen.
Um dem Anspruch an eine schnelle und transparente Kommunikation dennoch genügen zu können, ist empfehlenswert, ein sogenanntes Bekennerschreiben zu veröffentlichen. In diesem benennt die Organisation den Vorwurf ohne Namen zu nennen, kündigt Aufklärung und Gespräche mit allen Beteiligten an, bietet den beteiligten konkrete Hilfe an, etwa Gespräche mit externen Psychologen und versichert zugleich, transparent zu handeln und neue Informationen – soweit sie nicht strafverfahrensrelevant sind – schnellstmöglich öffentlich zu machen.
3. Vertrauenswürdigen Absender wählen
Wenn es um sexuellen Missbrauch geht und eine Organisation tief in der Krise steckt, fällt es oft auch erfahrenen Kommunikatoren schwer, eine schnelle, transparente und vor allen Dingen empathische Kommunikation zu formulieren. Es gilt, die richtigen Worte zu finden, relevante Medienkanäle auszuwählen und die wichtigen Stakeholder-Gruppen mit dem oben bereits erwähnten Bekennerschreiben zu erreichen. Bei der Erstkommunikation kommt es aber auch darauf an, welche Person eine Organisation sprechen lässt.
Die Rede ist hier vom ‚Gesicht der Krise‛, das sich den Medienvertretern stellt und Verantwortung für die momentane Situation übernimmt. Dieses ‚Gesicht‛ ist schließlich für den Vertrauenserhalt maßgeblich mitverantwortlich. Die Person sollte zuvor bestenfalls durch ein Medientraining geschult sein. Der Fokus ihres Statements liegt grundsätzlich auf dem Mitgefühl mit den Opfern und den Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, um das Vertrauen der Opfer und aller weiteren Stakeholder-Gruppen zurückzugewinnen oder zu erhalten.
Jegliche Floskeln und Phrasen verbieten sich, denn echtes Mitgefühl lässt sich nicht faken. Eine weitere Herausforderung für die Organisation bildet die Folgekommunikation. Zahlreiche Interviewanfragen von Journalisten werden eingehen und es muss eine Pressekonferenz organisiert werden. All das passiert gleichzeitig und nicht selten fehlen für Aufgaben dieser Größenordnung die Ressourcen. Ist das tatsächlich der Fall, sollte schnellstmöglich externe Hilfe hinzugezogen werden.
4. Mit der Endlosigkeit der Krise umgehen
Insbesondere beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs sind verständlicherweise alle Verantwortlichen in einer Organisation erleichtert, wenn das Thema vom Tisch ist oder eine Lösung für den Umgang mit der betreffenden Führungskraft gefunden wurde, sollte sich der Verdacht bewahrheitet haben. Oft ist die Erleichterung aber so groß, dass die Realität völlig ausgeblendet wird. Fakt ist nämlich: Eine Krise endet nie! Die Organisation hat ab jetzt eine Krisenhistorie – ob eine gute oder schlechte, hängt vom Gelingen des Krisenmanagements und der Krisenkommunikation ab.
Das Lagebild muss in der Folge immer wieder neu bewertet werden und aus jeder veränderten Lage ergibt sich die Notwendigkeit neuer Maßnahmen. Je nachdem wie schwerwiegend die Krise war, wird es Gutachten, Gerichtsurteile und Jahrestage geben, die Organisation und Kommunikation fordern. Sollte sexueller Missbrauch in einem anderen Unternehmen aus der Region zum Thema werden, ist zudem mit erneuten Presseanfragen und einer kritischen Auseinandersetzung mit den durchgeführten Folgemaßnahmen zu rechnen. Organisationen sollten darauf vorbereitet sein.
Die Autorin
Jana Meißner ist gelernte Juristin und geschäftsführende Gesellschafterin der Meissner The Resilience Company GmbH aus Dortmund.