In Heimen Selbstbestimmung erhalten
Der DiCV Köln hat untersucht, wie selbstbestimmte Teilhabe von Menschen in Altenheimen gelingen kann. Dabei erhielt die Abteilungsleiterin Altenhilfe Helen Maqua Unterstützung eines Experten.
Vor über drei Jahren hat sich der Teilhabe-Experte Harry Fuchs mit der Frage beschäftigt, wie sich die gesellschaftliche und vor allem selbstbestimmte Teilhabe von Seniorinnen und Senioren in stationären Altenpflegeeinrichtungen noch besser als bisher umsetzen und gestalten lässt. Dabei geht es um so konkrete Fragen wie:
- Kann ich als Bewohnerin oder Bewohner noch zu einem Spiel des FC Köln ins Stadion fahren, wenn ich das gerne möchte, obwohl ich hilfebedürftig bin?
- Kann ich weiter mit meinen Enkeln skypen?
Mit einem Projekt sollte untersucht werden, wie die Wirklichkeit dazu in den Altenpflegeeinrichtungen aussieht und welche Anforderungen formuliert werden sollten, um eine gelingende Teilhabe zu ermöglichen. In dem Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln (DiCV Köln) fand Fuchs einen Träger, der großes Interesse am Thema hatte und auf Einrichtungen zugreifen konnte, bei denen bereits wichtige Basics zur selbstbestimmten Teilhabe vorhanden waren. Schließlich wurde das Projekt vom DiCV Köln in Kooperation mit der Hochschule Düsseldorf (HSD) geplant und von Januar 2017 bis Dezember 2019 durchgeführt sowie von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW finanziell gefördert.
Workshop in den Einrichtungen
Vier Mitgliedseinrichtungen des DiCV Köln wirkten engagiert drei Jahre lang mit. Sie gewährten Einblick in die hausinternen Abläufe, Bewohner sowie Angehörige wurden befragt, Alltagssituationen und Beschäftigungssituationen beobachtet und leitfadengestützte Gespräche mit Leitungskräften und Mitarbeitenden geführt. Nach der Erhebungsphase wurde in jeder Projekteinrichtung ein Lernworkshop veranstaltet, in dem zentrale Ergebnisse der Untersuchungen vorgestellt und Ideen für konkrete Verbesserungsmöglichkeiten gesammelt wurden.
Basierend auf den empirischen Ergebnissen des Projektes wurde ein Musterrahmenkonzept (MRK) entwickelt und zunächst in einer Einrichtung erprobt. Im MRK sind wesentliche Anforderungen an die Umsetzung von selbstbestimmter Teilhabe in Altenpflegeeinrichtungen zusammengefasst. Dabei wurden auch alle derzeit in Nordrhein-Westfalen geltenden gesetzlichen Anforderungen zur Teilhabe aus dem Wohn- und Teilhabegesetz und der Durchführungsverordnung berücksichtigt.
Ressourcen geklärt
Das MRK beinhaltet sowohl Struktur- als auch Prozess- und Ergebniskriterien. Bei den Strukturkriterien geht es um ‚weiche Faktoren‛ wie die Einrichtungs- und Arbeitskultur bezüglich der Teilhabe sowie die Mitarbeiterkompetenzen. Aber auch ‚harte Fakten‛ werden angesprochen, wie teilhaberelevanten Arbeitszeit- und Vorgesetztenregelungen, die notwendige Raum-, Technik und Materialausstattung und die Erschließung zusätzlicher Ressourcen für die Teilhabe-Umsetzung. Bei den Prozesskriterien sind vor allem Anforderungen an den Umgang mit Teilhabewünschen der Bewohner/-innen sowie deren Selbstbestimmung formuliert. Ganz konkrete Aspekte der Angebotsplanung und -gestaltung sowie der Gestaltung des Alltags spielen ebenfalls eine Rolle. Die Ergebniskriterien zeigen auf, dass eine nachhaltige Umsetzung einer selbstbestimmten Teilhabe nur möglich ist, wenn die teilhaberelevanten Konzepte und die konkreten Maßnahmen immer wieder kritisch reflektiert werden. Dabei ist die Zufriedenheit der Bewohner mit zu berücksichtigen.
Das MRK liegt jetzt in zwei Versionen vor. In der ‚Leseversion‛ sind die Anforderungen bezüglich der selbstbestimmten Teilhabe aufgeführt sowie um Erläuterungen und Beispiele ergänzt, die die Anforderungen näher erklären und Möglichkeiten der konkreten Umsetzung benennen. In der ‚Bearbeitungsversion‛ besteht zusätzlich die Möglichkeit, den Ist-Zustand für die eigene Einrichtung mittels einer Skala einzuschätzen und auch näher zu erläutern. Außerdem können Ideen für Verbesserungsmaßnahmen festgehalten werden.
Bewohner direkt befragen
Das MRK ist also nicht nur ein reiner Anforderungskatalog, sondern auch ein Instrument zur Qualitätseinschätzung und -entwicklung und ein Fundus an Gute-Praxis-Beispielen, vor allem aus den Projekteinrichtungen und aus Veranstaltungen zum Projekt. Beispiele: Ein Küchenleiter befragt täglich die Bewohner direkt beim Mittagessen nach ihrer Zufriedenheit mit dem Essen und erhält viel mehr Rückmeldungen als vorher bei der monatlichen Abfrage. Ein Bewohnerbeirat lädt regelmäßig alle Bewohner zum Sekt-Frühstück ein, bei dem Anliegen an ihn herangetragen werden können und erhält eine hohe Resonanz.
Mit dem Projekt ist erstmalig eine Untersuchung zur selbstbestimmten Teilhabe in stationären Altenpflegeinrichtungen gelungen. Mit dem MRK sind zudem Faktoren für eine gelingende Teilhabe herausgearbeitet worden. Diese gilt es nun in der Praxis umzusetzen. Das MRK kann demnächst allen interessierten Einrichtungen in NRW zur Verfügung gestellt werden. Wenn bestmögliche Selbstbestimmung und Teilhabe das Leben von Bewohner/-innen in Altenpflegeheimen prägen, dann wird sich ein ‚ich will auf keinen Fall ins Heim‛ vielleicht in ein ‚ich gehe gern ins Altenheim‛ wandeln.
Die Autoren
Helen Maqua ist Abteilungsleiterin Altenhilfe beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln.
Henry Kieschnick ist Referent für stationäre Altenhilfe beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln.