Künstliche Intelligenz

Neue Anwendungen für die Branche entwickeln

Finsoz-Gründer Wolff und Kreidenweis (v.l.) © Finsoz

Projekte mit Künstlicher Intelligenz in Pflege und Eingliederungshilfe sind rar. Helmut Kreidenweis und Dietmar Wolff vom Digitalverband Finsoz geben einen Überblick über Forschung und Praxis.

Künstliche Intelligenz (KI) ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Oft unbemerkt arbeitet sie in Navigationssystemen, Suchmaschinen, Übersetzungssoftware oder Spracherkennung und Bildersortierung auf dem Smartphone oder hinter einer Website. Doch speziell auf die Bedarfe von Pflege und Eingliederungshilfe zugeschnittene marktreife Produkte sind bis dato nicht zu erkennen. Und entsprechende Entwicklungsprojekte sind rar und stecken oft noch in den Kinderschuhen. Dies ist das Ergebnis eines Symposiums, das der Digitalverband Finsoz in Kooperation mit der Hochschule Hof und der Katholischen Universität Eichstätt Ende September in Fulda veranstaltet hat.

Vorurteile schreiben sich fort

Referierende und Teilnehmende des Symposiums waren sich einig, dass in den verschiedenen Anwendungsszenarien von KI große Potenziale stecken. Im Eingangsreferat zeigte René Peinl vom Institut für Informationssysteme der Hochschule Hof die grundlegenden Stärken dieser Technologie auf, die etwa in der Mustererkennung und der Unterstützung von Entscheidungen liegen. Als Hürde benannte er vor allem die Beschaffung und Aufbereitung qualitativ hochwertiger Trainingsdaten, von welchen die Systeme auf ihren Echteinsatz zunächst lernen müssen. Als ein besonderes Problem stellte er dabei heraus, dass solche Daten oft nicht frei von Meinungen seien und dadurch das Trainingsergebnis der KI beeinflusst würde. Damit könnte sich die Eignung und Verfügbarkeit solcher Datenbestände insbesondere in der Sozial- und Pflegewirtschaft als problematisch erweisen. Hier wird die Bereitschaft der Träger, solche Daten – selbstverständlich anonymisiert – zur Verfügung zu stellen, entscheidend sein.

Dienstplanung als Anwendungsgebiet

Fördermittel für die Erforschung von Einsatzmöglichkeiten von KI sind zahlreich verfügbar, doch die überwiegende Mehrzahl der aktuell laufenden KI-Projekte sind stark industrie- oder medizinorientiert. Pflegefachkräfte oder Sozialarbeitende werden oft erst am Ende einbezogen. Dennoch gibt es Lichtblicke. So widmet sich etwa ein im Symposium vorgestelltes Forschungsvorhaben der KI-gestützten Spracheingabe in der Pflegedokumentation im Bereich der stationären Altenhilfe. Ein weiteres Projekt zur KI-Unterstützung in der klinischen Dienstplanung zeigte die enorme Komplexität dieses Planungsproblems und der technischen Abbildung der entsprechenden Prozesse auf. In welchem Umfang hier durch maschinelles Lernen oder sogar Deep Learning eine Qualitäts- und Effizienzsteigerung im Bereich der Dienstplanung erreicht werden kann, ist selbst nach zwei Jahren Projektlaufzeit noch nicht absehbar.

Pflegeroboter bleibt Zukunftsmusik

Die beiden ebenfalls in Workshops vorgestellten Robotik-Projekte machten hingegen deutlich, dass die Sozialwirtschaft in diesem Anwendungsbereich auf absehbare Zeit wohl hauptsächlich von Systemen profitieren kann, die für andere Felder oder anwendungsneutral entwickelt werden. Beispiele dafür sind Transportroboter und Greifarme aus der Industrie oder humanoide Kommunikationsroboter, die etwa auch in der Hotellerie oder im Verkauf genutzt werden und deren Software entsprechend angepasst werden muss. Dass diese Lösungen nicht starr, sondern anpassbar sind, stellt eine Chance für die Sozialwirtschaft dar, indem etwa entwickelte Programmierungen für bestimmte Nutzungsszenarien über gemeinsame Plattformen ausgetauscht werden könnten. Der vieldiskutierte Pflegeroboter – da waren sich die Experten einig – ist bislang eine höchst ungewisse Zukunftsvision. In naher Zukunft wird sich die Forschung vor allem auf spezielle Funktionen von Robotern konzentrieren, die ‚Allround-Maschine‛, die den Menschen ganz oder weitgehend ersetzen kann, ist aktuell kein Ziel.

Ethische Grenzen bei subjektiven Entscheidungen

Der abschließende Vortrag von Karsten Weber von der Technischen Hochschule Regensburg thematisierte die ethischen Spannungsfelder im Bereich der Künstlichen Intelligenz: Ist es nicht ethisch sogar geboten, KI-Systeme einzusetzen, wenn diese bessere Ergebnisse erzielten wie menschliche Experten? Dies könnte etwa im Bereich der Diagnostik gelten oder bei der Frage, ob Einwilligungsfähigkeit für medizinische Eingriffe besteht. Strittig in der intensiven Diskussion mit dem Publikum blieb jedoch die Frage, wie es sich mit dem KI-Einsatz verhält, wenn Entscheidungen wie etwa in der Pflege- oder Teilhabeplanung keine objektivierbare Basis besitzen und stark durch menschliche Aushandlungsprozesse und subjektive Entscheidungen geprägt sind.

Pflege und Pädagogik am Studien Design beteiligen

Einig waren sich Referenten und Teilnehmende, dass die KI-Forschung in den sozialwirtschaftlichen Arbeitsfeldern deutlich verstärkt werden muss. Notwendig ist dabei vor allem eine Abkehr von stark technisch getriebenen Ansätzen. Stattdessen sollte von den tatsächlichen Erfordernissen und Engpässen der Praxis her gedacht werden. Dabei genügt es nicht, Fachkräfte im laufenden Entwicklungsprozess irgendwann mit an den Tisch zu holen. Vielmehr müssen die pflegerischen und pädagogischen Professionen bereits beim Design der Studien und vor allem bei der Entscheidung über die Förderungswürdigkeit eng mit einbezogen werden. Denn bislang werden Projekte oft abgelehnt, weil sie aus technischer Sicht nicht innovativ genug seien. Der Praxisnutzen, so auch viele Stimmen aus dem Kreis der Teilnehmenden, bleibt bei dieser Art von Bewertung jedoch weitgehend außen vor.

KI wird Pflege und Eingliederungshilfe prägen

Das Symposium zeigte eindrücklich, dass noch viel Forschung und Entwicklung notwendig ist, um nicht nur einzelne Teilkomponenten, sondern die gesamten Wertschöpfungsketten in der Pflege und Eingliederungshilfe wirksam zu unterstützen. Dies betrifft etwa Prozesse der Medikation oder der Logistik, die in der Praxis nur spürbare Wirkung entfalten, wenn sie in ihrer Gesamtheit betrachtet werden und menschliche und technische Komponenten reibungslos ineinandergreifen. Doch auch wenn die ersten Schritte noch nicht perfekt sein werden: Künstliche Intelligenz wird eine Schlüsseltechnologie werden, die auch die Pflege und Eingliederungshilfe nachhaltig prägen wird.

Die Autoren

Helmut Kreidenweis ist Professor für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Dietmar Wolff ist Professor für Informations- und Kommunikationssysteme für betriebliche Aufgaben an der Hochschule Hof. Beide Autoren sind Mitgründer und Vorstandsmitglieder des Digitalverbandes Finsoz e.V.

helmut.kreidenweis(at)finsoz.de