Unternehmensziele

Auf die eigene Identität besinnen

Strategieleiter Effert © rosenbaum nagy unternehmensberatung

Die Erfüllung ideeller Ziele wird für Unternehmen immer bedeutender. Wie sie sich messen lässt, zeigt Carsten Effert, Strategieleiter bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung.

Die Coronapandemie hat Gesellschaft und Wirtschaft gehörig verändert. Zu den wenigen guten Entwicklungen zählt die stärkere Fokussierung auf vermeintlich weiche Themen, wie beispielsweise soziale Gerechtigkeit. In der Privatwirtschaft führt dies aktuell zu einer verstärkten Beschäftigung mit dem Thema Purpose, also der Frage nach dem Sinn und Zweck eines Unternehmens. Dieses Thema ist für die Sozialwirtschaft identitätsstiftend, wird jedoch häufig sehr nachlässig behandelt.

Die Erfüllung ideeller Ziele gehört für die meisten Unternehmen und Organisationen der Sozialwirtschaft zum Kern ihres Auftrags. Diese finden sich daher in Leitbildern oder auf Homepages. In der Unternehmensstrategie und vor allem in der strategischen Steuerung kommt diese Zieldimension jedoch häufig zu kurz. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich ideelle Ziele zumindest auf den ersten Blick schwerer messen lassen. Zudem fällt es vielen Akteuren in der Sozialwirtschaft grundsätzlich schwer, die eigene Leistung über das rein Wirtschaftliche hinaus differenziert zu bewerten. Dies zeigt sich zum Beispiel aktuell in der Eingliederungshilfe, die durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verpflichtet wird, die Wirkung der Leistungen transparenter zu machen. Dies wird zukünftig von den Leistungsträgern überprüft und kann schlimmstenfalls sogar negative Auswirkungen auf die Entgelte haben.

Ideelle Bedeutung messen

Dabei lassen sich auch fachlich-ideelle Aspekte messen und bewerten. Dies lässt sich exemplarisch an der rn-Matrix zeigen, die von rosenbaum nagy eigens entwickelt wurde, um Portfolioanalysen in der Sozialwirtschaft durchzuführen (Beispiel für den Einsatz der Matrix). Die Besonderheit dieses Instruments liegt darin, dass es hiermit möglich ist, nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung einzelner Geschäftsfelder zu bewerten, sondern auch die ideelle Bedeutung.

Die Beurteilung dieser beiden Dimensionen erfolgt dabei anhand eines differenzierten Scoringmodells und wird erfahrungsgemäß durch ausgewählte Führungskräfte, das Leitungsteam oder eine Strategiearbeitsgruppe vorgenommen. Die ideelle Bedeutung wird hier unter anderem anhand folgender Kriterien gemessen:

1. Anzahl erreichter Kundinnen und Kunden pro Jahr

Bei der Bewertung sollte ein erweiterter Kundenbegriff Anwendung finden. Somit sind hier nicht nur die sogenannten Endkunden zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Bewohnerinnen und Bewohner oder Klientinnen und Klienten. Auch weitere Kundenkreise wie Angehörige oder Betreuerinnen und Betreuergehören dazu. Zur Vorbereitung empfiehlt sich die Abfrage aller mittel- und unmittelbaren Kunden pro Geschäftsfeld oder Angebot. Dabei zählen jedoch nur die Köpfe, nicht die Anzahl der Kontakte.

2. Hilfebedarf der Kundinnen und Kunden

Den Begriff Hilfebedarf müssen die beteiligten Führungskräfte intern in gemeinsamer Diskussion näher bestimmen. Dabei sollten sie eine Verständigung darüber erzielen, welche Hilfebedarfe ähnlich zu gewichten sind und wie mit einzelnen, besonders schwerwiegenden Hilfebedarfen, wie zum Beispiel Lebensgefährdung, umzugehen ist. Das ermöglicht auch bei Geschäftsfeldern oder Angeboten für Kundinnen und Kunden mit geringerem Hilfebedarf eine differenzierte Bewertung.

3. Lücke nach möglichem Rückzug

Hier gilt es zu bewerten, ob es Alternativanbieter oder -angebote gibt, falls das eigene Angebot aufgegeben würde. Angebote auf hart umkämpften Märkten, beispielsweise in der Altenhilfe, bekommen hier normalerweise eine eher geringe Bewertung. Eher exklusive und einmalige Angebote, wie bestimmte Projekte, erhalten hier in der Regel hohe Punkte.

4. Verbesserung der Erfolgsaussichten

Bei dieser Betrachtung geht es um die Frage, wie stark das Angebot seinem Wesen nach geeignet ist, der erreichten Zielgruppe nachhaltig zu helfen. Je nach Hilfebedarf ist die Teilhabe an der Gesellschaft oder die Lebensqualität in einem anderen Lebensbereich gefährdet. Hierzu zählen zum Beispiel Gesundheit, Existenzsicherung, Bildung, Arbeit oder Kultur. Was Teilhabe und Erfolgsaussichten beim einzelnen Angebot bedeuten, muss gemeinsam diskutiert und festgelegt werden.

Hier sind Angebote, die hinsichtlich ihrer Zielstellung Kundenressourcen aktivieren, stärker kausal wirken, tatsächlich neue Lebensperspektiven eröffnen oder eine starke Verbesserung der Lebensqualität bewirken können, höher Punktzahl zu bewerten.

5. Erfolgsquote der einzelnen Angebote

Hier geht es im Kern darum, wie sehr es in der Umsetzung tatsächlich gelingt, die ursprünglich gesetzten Ziele zu erreichen. Dazu gehören zum Beispiel die Anzahl der in Arbeit vermittelten Klientinnen und Klienten oder eine bestimmte Rückfallquote, die nicht unterschritten werden soll. Vor Bewertung dieser Kategorie muss zunächst Verständigung darüber erzielt werden, was Erfolg im Einzelfall bedeutet! Maßstäbe können hier der tatsächlich erreichte Output oder externe Benchmarkwerte sein.

6. Aufwand für die Versorgung

Dieses Kriterium folgt der Annahme, dass die Erlöse die Investition der Gesellschaft in das einzelne Angebot, einen Betreuungsplatz oder eine Maßnahme darstellen. Die Bewertung kann durch die Division der Gesamterlöse eines Geschäftsfeldes in einem Jahr durch die Anzahl der in diesem Zeitraum erreichten Kundinnen und Kunden vorbereitet werden.

Die wirtschaftliche Bedeutung wird in diesem Scoringmodell ebenfalls anhand diverser Kriterien bewertet, maßgeblich ist hier vor allem das jeweilige Umsatzvolumen. In beiden Dimensionen erhalten die Kriterien von den beteiligten Führungskräften vorab verschiedene Gewichtungen, um ihrer unterschiedlichen Bedeutung und Tragweite gerecht zu werden. Im Rahmen der Bewertung durch die Führungskräfte oder Arbeitsgruppe werden dann für jedes Kriterium bis zu 10 Punkte vergeben. Bei manchen Kriterien kann dabei auf objektive Bewertungsmaßstäbe, wie zum Beispiel Finanzdaten oder Leistungsstatistiken, zurückgegriffen werden – allerdings erfordert dies in der Regel eine vorgeschaltete Analyse. Andere Kriterien können nur durch gemeinsame Diskussion der Beteiligten in einen einheitlichen Bewertungsmaßstab gebracht werden.

Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere die gemeinsame Diskussion und Bewertung sehr wertvoll ist, beispielsweise im Rahmen eines Strategieprozesses oder der jährlichen Wirtschaftsplanung. Mit den Ergebnissen dieser Portfolioanalyse, konkreter gesagt der Einordnung der einzelnen Geschäftsfelder oder Angebote im Scoringmodell, lassen sich dann die nötigen strategischen Stoßrichtungen entwickeln. Zu diesen Stoßrichtungen kann es gehören, das Profil auszubauen, zu halten, rückzubauen, aufzugeben und gegebenenfalls zu schärfen. Einzelne Geschäftsfelder, zum Beispiel in der Pflege, sind erfahrungsgemäß sowohl wirtschaftlich als auch ideell hoch aufgeladen, andere Angebote sind dagegen eher in einer der beiden Dimensionen stärker bewertet. Ziel sollte in jedem Fall ein möglichst ausgeglichenes Gesamtportfolio sein.

Neben der eher punktuellen Verwendung in der Portfolioanalyse können die aufgeführten Kriterien, gegebenenfalls in angepasster Form oder ergänzt um weitere Kennzahlen und Indikatoren, auch in das laufende Controlling und Berichtswesen überführt werden. Damit können die strategische Steuerung weiterentwickelt und eine stärkere Wirkungsorientierung zumindest ansatzweise implementiert werden.

Denn gerade in der Sozialwirtschaft sollte der Frage, ob und in welchem Maße der eigene ideelle Auftrag erfüllt und den Menschen geholfen wird, ausreichend Bedeutung zukommen. In diesem Falle braucht es dann auch kein neues Modell aus der Privatwirtschaft, wie Corporate Purpose, sondern eher die Rückbesinnung auf die eigene Identität.

Der Autor

Carsten Effert ist Geschäftsbereichsleiter Strategie und Geschäftsfeldentwicklung bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung. effert(at)rosenbaum-nagy.de

Die rosenbaum nagy unternehmensberatung unterstützt die Veröffentlichung und Verbreitung dieses Beitrags.